Wie Du mir, so ich Dir….

oder…Warum Hunde in Schulen gehören.

Cookie hat seinen ersten Tag als Schulhund an der Förderschule, an der ich arbeite. Obwohl ich durch meine Ausbildung Wissen über Hunde habe, Schule zu meinem Alltag gehört und ich bevorzugte Charaktereigenschaften für Schulhunde benennen kann, ist es mir nicht möglich, eine wirklich sichere Prognose zu geben, wie der erste Tag heute verlaufen wird. Natürlich mache ich mir keine Sorgen, dass meinen Schülern Schaden entsteht. Dennoch sind viele Fragen offen: Wie stressig wird mein Hund die Schule und den Umgang mit den Schülern erleben? Wie wird Cookie mit dem Stress umgehen können? Wie gut können die Schüler die erarbeiteten Regeln praktisch umsetzen? All das muss sich noch zeigen.

Nach einer kurzen Wartezeit im Auto darf Cookie die Schule betreten. Ich habe mit den Schülern in der Zwischenzeit noch einmal Verhaltensregeln im Umgang mit Hunden wiederholt. Die Schüler sitzen im Stuhlkreis, als ich hereinkomme. Ich setze mich vor sie und lege eine Hundedecke neben mich. Cookie hibbelt herum und ist anfangs etwas nervös, legt sich aber bald ab und schaut die Schüler neugierig an. Ich fange an, den Schülern ein paar Tricks zu zeigen; der Keks macht bereitwillig mit und scheint „gut angekommen“ zu sein.

Ich erlaube den Schülern, Cookie nacheinander zu begrüßen. Der erste Schüler steht auf, geht auf meinen Hund zu, sagt „Hallo Cookie“ und gibt ihm ein Leckerchen. Zwei weitere Schüler folgen und Cookie ist an allen interessiert und ihnen zugewandt. Dann folgt Alex (Name geändert). Er steht auf, schnauft entschlossen, zieht die Hose hoch, greift ein Leckerchen und geht beherzt, mit großen, stampfenden Schritten los, bremst kurz vor Cookie ab und beugt sich über ihn, um ihm das Futter zu geben. Das alles mit herzensguten Absichten – aber leider entgegen aller mit den Schülern besprochenen Regeln, wie man sich einem Hund nähern sollte. Das weiß Cookie auch. Statt das Leckerchen zu nehmen, knurrt er den Jungen an, ganz nach dem Motto: „Nee, so mag ich das aber gar nicht!“ Alex wird – verständlicherweise – etwas nervös. Zwar weiß ich, dass der Keks nicht mehr will als Abstand, und dass er niemals schnappen wird – aber für meine Schüler ist es schließlich die erste Begegnung! So habe ich mir das nicht vorgestellt… Ein wenig bin auch ich enttäuscht und zweifle, ob mein Hund als Schulhund wirklich geeignet ist.

Ich bitte Alex, sich auf den Boden zu setzen und sich etwas zurückzulehnen, denn seine Körperhaltung ist immer noch vorgebeugt. Gemeinsam sprechen wir darüber, was seine Intention bei der Annäherung war, und was Cookie stattdessen verstanden hat. Alex murmelt: „Der Hund mag mich nicht. Bei den anderen hat er das nicht gemacht. Er denkt, dass ich anders bin.“ Er ist spürbar enttäuscht und wird traurig. Mein Hund will sich Alex immernoch nicht nähern. Mir tut mein verunsicherter Schüler leid. Zunächst kann ich aber nicht mehr machen, als ihm zu erklären, dass es so etwas wie ein Missverständnis zwischen Cookie und ihm gab, es nicht an ihm als Person liegt. Und dass wir später einen neuen Versuch starten.

Alex setzt sich auf meine Aufforderung hin wieder auf seinen Platz. Cookie und ich zeigen noch ein paar Tricks. Er ist wieder ganz locker und „voll bei der Sache.“ Ich werfe nach und nach Leckerchen in Alex‘ Richtung, die der Keks aufnimmt. Und plötzlich findet er sich neben Alex wieder. Eine kurze Kontaktaufnahme – und auf einmal scheint der Schüler gar nicht mehr so bedrohlich für meinen Hund zu sein. So ruhig, wie er jetzt da sitzt. Ich bitte den Jungen, seine Hand auszustrecken, halte sie fest und lege ein Leckerchen hinein. Und Cookie nimmt es! Danach noch ein weiteres. Alex ist beruhigt, ein Lächeln zaubert sich auf sein Gesicht.

Kurze Zeit später bereiten wir das Frühstück zu und Cookie muss aus hygienischen Gründen in den Nebenraum. Alex stellt sich in den Türrahmen, um ihn etwas zu beobachten – vorsichtshalber wählt er etwas Sicherheitsabstand. Der Kekshund kommt neugierig, freundlich auf ihn zu und schnüffelt an seiner Hand. Ich fragte Alex, ob er dem Hund eine Kaustange geben möchte. Mein Schüler setzt sich auf die Couch und hält Cookie die Stange hin. Während er sie nimmt, darf mein Schüler ihn sogar streicheln. Überhaupt scheint Cookie sich an Alex mehr und mehr zu gewöhnen. Immer häufiger kommt er in seine Nähe, und lässt dessen nach wie vor etwas unbeholfene, aber viel vorsichtigere und zurückhaltendere Streicheleinheiten zu. Er weiß, dass von Alex keine Gefahr ausgeht. Der sonst so unsichere Junge wird immer stolzer.

Alex erklärt es meiner Kollegin so: „Zuerst habe ich Cookie erschreckt. Dann habe ich mich entschuldigt. Er hat sich auch entschuldigt. Jetzt sind wir Freunde.“

Alle möchten, dass Cookie wiederkommt. Der Keks hat sich über die Zeit hinweg merklich wohler gefühlt, sich ruhig abgelegt, zwischendurch geschlafen und sich etwas verhätscheln lassen. Smilie: ;) Ich glaube, er möchte auch wiederkommen.

Und mir wird wieder einmal klar, was einen guten Schulhund ausmacht. Ein Schulhund muss sich nicht alles gefallen lassen, ohne sich zu rühren oder sich mal zu „beschweren.“ Ein guter Schulhund ist ganz bei den Schülern – und gibt direkte Rückmeldung zu ihrem Verhalten. Eben ein Stück weit nach dem Motto: Wie Du mir – so ich Dir.

Ich bin mir sicher: Was Alex als Erfahrung durch die Reaktion meines Hundes gelernt hat, hätte ich ihm niemals nur durch Erzählungen oder das Auswendiglernen von Regeln vermitteln können. Er musste es fühlen. Und auch wenn sich der Misserfolg anfangs, wie er sagte, „blöd“ anfühlte – um so schöner war der Erfolg. Sein großer Wille, mit Cookie „befreundet zu sein“, hat ihn dazu befähigt, sein Verhalten zu überdenken und zu ändern. Was Cookie damit in wenigen Minuten bei Alex erreicht hat – daran arbeite ich mit meinen Schülern normalerweise über Monate, manchmal Jahre.

Zum Ende des Schultages strahlt Alex mich überglücklich an und sagt: „Das ist wie Therapie.“

Mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen.

Kategorie(n): Schulhund

5 Antworten auf Wie Du mir, so ich Dir….

  1. Ich bin so stolz auf Dich und Cookie! Das war ein richtig guter Tag Smilie: :)

    Jessica Gross sagt:

    Toll geschrieben, ich war quasi „live“ dabei und habe mit euch gefühlt, mit „Alex“ mit dem Keks und mit dir. TOLL! Ein voller Erfolg würde ich meinen, fühlt sich sicher richtig Richtig an und Cookie freut sich bestimmt schon auf’s nächste Mal.

    Anke mit Roña sagt:

    Finde es super, dass du cookie mit in die Schule genommen hast. Roña ist auch therapiehund und ab und an in schulen und ferienfreizeiten dabei. Roña geht in kniffligen Situationen nach hinten. Wenn sie eine Gruppe kennt wird sie dagegen quasi angezogen von auffälligen Kindern. Mir ist das oft ein Rätsel.
    Gerade deshalb bin ich immer wieder so stolz auf meinen ehemaligen Straßenhund, der auch im hohen Alter (fast 13) noch immer begeistert mit Kindern arbeitet.

    Ich wünsche dir weiterhin viel Spaß mit deinen Hunden und bei der Arbeit mit ihnen.
    LG
    Anke

      Johanna Pelz sagt:

      Hallo Anke!

      Das klingt so, als hättest Du wirklich den perfekten Hund für den Job! Toll!

      Herzliche Grüße und alles Gute für Euch,
      Johanna

  2. das ist so eine schöne Geschichte, und ich gebe zu mir standen oft die Tränen in den Augen. Wie wunderschön der Hund den Jungen quasi zu einen anderen Verhalten geführt hat. Cookie hat gespürt das etwas nicht stimmt, dass dieser Junge anders ist, diese Energie spüren die einfach. Das wird mir immer mehr bewusst, wie sensibel Hunde doch sind. Oft tun wir das so ab als wäre sie ängstlich oder wollten einfach nur Ihre Ruhe, doch tatsächlich spürt der Hund einfach nur die Energie und verhält sich dementsprechend. Einfach klasse.

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