Immer wieder treffe ich in meinen Trainings auf Hunde, die sich draußen nur schwerlich motivieren lassen, etwas gemeinsam mit ihrem Halter zu tun. Ihre Menschen erzählen mir, dass sie sich weder durch Spielzeug, noch durch ein körperaktives Spiel mit ihrem Besitzer, und auch nicht durch Futter aktivieren lassen.
Teils sind diese Hunde übergewichtig. So sollte man meinen, Futter wäre ihnen durchaus wichtig und sie ließen sich durch dieses motivieren. Tun sie aber nicht. Drinnen fressen sie gern. Draußen lassen sie die Fleischwurst links liegen.
Wie passt das zusammen?
Diese Hunde sind übersättigt. Wortwörtlich. Und dieses Phänomen der „Übersättigung“ muss sich keinesfalls nur auf Futter beziehen.
Es gibt Hunde, die haben einfach alles: Sie haben ein sicheres Zuhause, werden geherzt und gestreichelt, wann immer sie es einfordern, haben stets einen gefüllten Napf in der Küche stehen, zeigen ihrem Halter an, wann sie spazieren gehen wollen (und erreichen prompt, dass ihr Mensch sich eilig die Schuhe anzieht), dürfen frei durch alle Räume spazieren, entscheiden, wann sie in den Garten wollen und wann lieber wieder ins Haus, wann sie spielen möchten und so weiter und so fort.
Auf dem Spaziergang jedoch stellen sie die Ohren auf Durchzug. Sie kommen, wann es ihnen bliebt, machen ab und an einen kleinen Jagdausflug allein und wenn sie wiederkommen, spucken sie ihrem Menschen das Leckerchen vor die Füße – es war nämlich nicht das Super-Leckerlie, sondern nur das reguläre Trockenfutter. Selbst einige Tierschutzhunde, die sich auf der Straße selbst ernähren mussten und sicher zeitweise Mangel erlebt haben, rümpfen die Nase über die falsche Sorte Käse.
Ihre Halter finden keinen Zugriff auf den Hund – sie geben sich reichlich Mühe, ihm alles zu geben, was er braucht und womit er sich wohl fühlt, laufen bald mit frischem Pansen durch die Gegend, damit ihr Hund sie beachtet – aber der Erfolg stellt sich nicht ein. Warum nur ignoriert ihr Hund sie so?
Die Antwort ist: Weil sie sich selbst dieses Problem – unbewusst – herangezüchtet haben. Ein Hund, der alles hat, muss sich um nichts bemühen. Warum auch?
Ich möchte das ganze anhand eines menschlichen Beispiels verdeutlichen:
Ein Kind hat ein Zimmer voller Spielsachen. Sie quellen aus den Regalen heraus und im Bett ist kaum noch Platz vor lauter Kuscheltieren. Wenn das Kind nach Chips verlangt, setzt sich der Vater in den Wagen und fährt zum Supermarkt. Wenn es einen Gegenspieler für die Spielkonsole braucht, rast der Vater in der Mittagspause nach Hause und setzt sich neben das Kind zum Spielen. Wenn es die Gemüsesuppe mittags nicht essen möchte, macht seine Mutter ihm Pizza.
Irgendwann bittet die Mutter das Kind, den Müll rauszubringen. Und erntet ein „Nö, kein Bock; mach selber.“ Und das, obwohl sie doch so viel für das Kind tun…
Wie könnten die Eltern damit umgehen?
Nun, sie könnten probieren, das Kind auf einer moralischen Ebene anzusprechen: „Ach bitte, das kannst Du doch einmal für mich tun. Wir tun auch so viel für Dich.“ Wenn sie Glück haben, dann hat das Kind Einsicht.
Wenn nicht, wäre eine Möglichkeit, das Kind zu erreichen, ihm Privilegien zu entziehen bzw. Konsequenzen aufzuzeigen. Sie könnten verfahren nach dem Prinzip: „Du bringst zu erst dann Müll raus, dann spiele ich mit Dir.“
So könnte das Kind auf Dauer lernen, dass es bestimmte Rechte nur hat, wenn auch auch Pflichten erfüllt – übrigens eine sehr wichtige Lektion für’s weitere Leben.
Zurück zum Hund. Auch in der Mensch-Hund-Beziehung sollte es bestimmte Pflichten geben, die ein Hund zu erfüllen hat – zum Beispiel, (weitestgehend) zuverlässig zum Menschen zurück zu kommen, bzw. in seiner Nähe zu bleiben. Ein Hund, der aber völlig übersättigt ist, stets zur Verfügung hat, was er möchte, sieht nicht unbedingt die Notwendigkeit dazu. Dieses lässt sich häufig auch bei Tierschutzhunden beobachten, die sich lange Zeit ohne den Menschen „durchschlagen“ mussten und daher die Nähe zum Menschen nicht unbedingt brauchen.
Einem Hund kann man auf moralischer Ebene nicht begegnen. Auch kann man ihm nicht, anders als einem Kind, Konsequenzen à la „Wenn – dann“ erklären. Aber man kann einrichten, dass der Hund zwar mit allem versorgt ist, was er braucht, damit er gut und zufrieden leben kann, aber ohne, dass er es in ständigem Überfluss zur Verfügung hat. Denn es bleibt – wenn er alles hat, warum sollte er sich anstrengen?
In der Praxis könnten Veränderungen, damit der Hund sich wieder mehr an seinem Menschen orientiert, so aussehen:
1) Etwas, das selbstverständlich sein sollte: Ich achte darauf, dass mein Hund kein Übergewicht bekommt – hat er dieses bereits, reduziere ich die Futterration. Ein Hund, der gut genährt ist, aber nicht übergewichtig ist, lässt sich normalerweise auch mit Futter belohnen und motivieren.
2) Ich wechsle nicht ständig die Futtersorte, weil mein Hund nach zwei Tagen entscheidet, dass er nun etwas anderes haben möchte. So kann man sich leicht Futtermäkler heranziehen, die ihr Futter stehen lassen, weil sie es gewohnt sind, dass ihnen dann etwas anders, besseres gereicht wird.
3) Ich stelle meinem Hund die Futterration nicht immer komplett im Haus zur Verfügung (und lasse den Napf schon gar nicht dauerhaft stehen), sondern gebe ihm Teile davon auf den Spaziergängen bei gemeinsamen Aktivitäten (zum Beispiel aus dem Futterbeutel, bei Suchspielen etc.).
4) Ich gehe nicht auf jede Spiel- oder Kuschelaufforderung meines Hundes ein, wenn es mir gerade eigentlich nicht passt. Das hat nichts mit „Dominanztheorie“ zu tun, oder damit, dass der Mensch generell immer entscheiden sollte, wann ein Spiel stattfindet. Der Hund darf es genauso. Aber ich nehme mir auch mal das Recht heraus, eine Aufforderung abzulehnen.
5) Ich entscheide, wann ein Spaziergang stattfindet, und werde nicht nervös oder hektisch, weil mein Hund meint, er müsse nun raus, weil wir schon 5 Minuten über die gewohnte Gassi-Zeit sind.
6) Spielzeug muss nicht ständig zur Verfügung stehen. Ich gebe es meinem Hund dann, wenn wir uns gemeinsam damit beschäftigen – im Idealfall draußen, um Spaziergänge spannend zu gestalten.
Dieses ist nur eine exemplarische Aufzählung an Möglichkeiten, mit diesem Typ Hund umzugehen, um wieder ein gesunde Basis herzustellen.
Es geht mir nicht darum, dass ein Hund „kleingehalten“ werden soll und nicht ausreichend Zuneigung, Futter oder Beschäftigung bekommt. Ich bin der Meinung, dass ein Umdenkprozess stattfinden sollte, wenn ich einen Hund habe, der sich draußen durch nichts motivieren lässt und eigenständig „sein Ding“ macht. Für ein Zusammenleben mit diesen Hunden kann es hilfreich sein, Ressourcen und Rechte (zeitweise) einzuschränken, damit sie sie wieder als Privilegien und nicht als selbstverständlich erachten. So lässt sich die Orientierung am Menschen verbessern und gemeinsame Spaziergänge machen wieder Spaß. Das Ziel soll sein, dass Gassigänge wirklich gemeinsam stattfinden – und nicht so, dass der Hund selbständig Ausflüge macht und der Halter frustriert allein im Wald steht.
All das setzt jedoch voraus, dass ich mir das Recht gebe, meinem Hund Grenzen zu setzen und Privilegien einzuschränken. Das sollte uns kein „Bauchweh“ bereiten, im Gegenteil: Wir kennen doch wohl alle das Gefühl, dass wir etwas besonders zu schätzen wissen, das wir uns erarbeitet haben – z.B. etwas, auf das wir lange sparen mussten und für das wir hart gearbeitet haben. Dinge, die uns einfach „zufallen“, schätzen wir nicht unbedingt so sehr. Ähnlich ist es beim Hund.
Dieses ist keine Pauschalweisheit, die für jeden Hund gilt. Wenn Du allerdings einen Hund hast, auf den die Beschreibungen zutreffen, und der Dich draußen für alles andere „stehen lässt“, könntest Du überprüfen, ob für ihn überhaupt der Anreiz besteht, sich für etwas anzustrengen – oder ob Du es ihm vielleicht in gutem Glauben im Überfluss schenkst.
(c) Johanna Pelz, www.miteinanderlernen.de
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