Die meisten Hundehalter sehen ihren Hund ständig an. Nicht zuletzt, weil ein jeder den schönsten Hunde der Welt – und damit natürlich Recht hat.
Trotzdem kann es sein, dass wir unseren Hund zwar ansehen, dabei aber viel übersehen.
Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was wir sehen, dem, was wir tatsächlich wahrnehmen – und letztendlich dem, was wir aus dem Wahrgenommenen ziehen können.
Ich möchte es an einem Beispiel verdeutlichen:
Ich gehe mit meinem Hund durch den Wald.
Ich sehe, dass er vor mir läuft. Im nächsten Moment rennt er links in den Wald und ist außer Sichtweite.
Das war der Aspekt des Sehens. Wahrnehmen hingegen bedeutet (in diesem Kontext), tatsächlich zu erfassen, was ich sehe.
Hätte ich meinen Hund in dem, was er mir gezeigt hat, tatsächlich wahrgenommen, dann wäre mir aufgefallen, dass mein Hund sein Display verändert hat – entsprechend einen Moment innegehalten und seine Ohren und Rute aufgestellt hat, bevor er dann in hohem Tempo in den Wald verschwunden ist.
Wenn ich jetzt auch noch „hündisch“ gekonnt hätte, hätte ich das Verhalten interpretieren können.
Es wäre wie folgt abgelaufen:
Ich sehe meinen Hund vor mir. Ich nehme wahr, dass sich sein Verhalten verändert, er kurz verharrt, Ohren und Rute erhebt und damit – nun folgt die Interpretation – seine Aufmerksamkeit ausrichtet, weil er passionierter Jäger ist und dort etwas Interessantes wahrgenommen hat.
Nicht nur Halter von jagdlich ambitionierten Hunden werden verstehen, warum dieses durchaus eine wichtige Erkenntnis ist. Gerade im jagdlichen Kontext ist Timing das A und O – und das bedeutet hier, dem Hund möglichst einen Schritt voraus zu sein.
Die Abfolge, bzw. die Unterschiede von Sehen, Wahrnehmen und Interpretieren lassen sich aber auch auf andere Beispiele anwenden.
Vielleicht habe ich einen Hund, der grundsätzlich einen kontrollierenden und maßregelnden Charakter hat, auch gegenüber Familienangehörigen.
Ich sehe, dass der Hund wechselnde Liegeplätze hat.
Ich nehme wahr, dass er häufiger auf dem Laminat in der Raummitte liegt, als auf seinem Körbchen.
Ich interpretiere (weil ich den Hund und sein Verhalten kenne), dass er diese bewusst auswählt, um die Dinge im Blick zu haben und Aufgaben zu übernehmen, denen er gar nicht gewachsen ist – also einen gewissen Status zu erproben bzw. aufzuzeigen.
Um die drei Schritte leisten zu können, braucht es verschiedene Kompetenzen. Nicht nur, dass ich mich selbst dazu anhalten muss, wahrzunehmen, ohne zu bewerten. Ich muss für den letzten Schritt (die Interpretation) kompetent genug sein, Hundeverhalten deuten zu können.
Bei all dem gehören die drei Aspekte unzertrennlich zusammen. Wenn ich nur (flüchtig) sehe, entgehen mir wichtige Informationen, die mir zum Deuten eines Verhaltens und somit zur Verhaltensveränderung, wenn notwendig, fehlen. Wenn ich vorschnell interpretiere, ohne vorher bewusst hinzuschauen, laufe ich Gefahr, falsche Schlüsse zu ziehen.
Daher gilt insbesondere, im Bereich der Verhaltensmodifikation:
Du solltest niemals vorschnell in die Interpretation verfallen, sondern einen flüchtigen Eindruck möglichst genau wahrnehmen, ohne zu bewerten, um dann im Abgleich mit dem sonstigen Wissen um den Hund die richtigen Schlüsse zu ziehen!