The inner circle – Von der Suche nach dem auslösenden Reiz bis zur Endhandlung.
Im zweiten Teil meiner Artikelreihe über das Jagdverhalten soll es darum gehen, wie es ausgelöst wird, welche Verhaltensweisen dazugehören, und an welcher Stelle man den Hund noch erreichen – also unterbrechend und erzieherisch einwirken kann.
Hunde, die schon in irgendeiner Form gejagt haben – sei es wirklich Wild, oder auch andere bewegliche Objekte wie fliegende Bälle, Autos, Fahrräder, usw. (auch das ist Jagdverhalten), zeigen oft schon eine Erwartungshaltung, wenn sie in an die Orte kommen, an denen das Jagen stattgefunden hat.
Dies kann der Wald sein, im schlimmsten Fall schon alles, was hinter der Wohnungstür liegt. Diese Erwartungshaltung zeichnet sich dadurch aus, dass der Hund die Umgebung sehr aufmerksam „scannt“, außenorientiert ist und versucht über alle vorhandenen Sinnesorgane (Ohren, Nase, Augen) etwas zu finden, was gejagt werden kann.
Solches Verhalten nennt man „ungerichtete Appetenz“, die Suche nach dem auslösenden Reiz – und schon hier beginnt Beutefangverhalten.
In diesem Stadium des Jagens kann man den Hund noch erreichen. Als Halter eines jagenden Hundes tut man also gut daran, ihn „lesen“ zu lernen, und damit schon solches Appetenzverhalten zu erkennen. Wurden vorher bestimmte Grundlagen geschaffen, kann man diese nutzen, um die Appetenz zu unterbrechen, und damit das unter Umständen darauf folgende Jagen zu verhindern. (Welche das sind, wird später noch zur Sprache kommen).
Wie aber muss ein Reiz beschaffen sein, damit er Jagdverhalten auslöst?
Ein solcher Reiz vereint meistens eine Kombination aus verschiedenen Dingen. Relevante Eigenschaften sind:
- Bewegung (Bewegungsrichtung und –geschwindigkeit)
- Gestalt / Größe-(Körper)temperatur
Geruch ist natürlich auch ein Jagdauslöser, unterliegt aber einer starken Lernkomponente (welche Gerüche sind jagdlich interessant, welche nicht?), wobei die anderen genannten Auslöser angeboren sind.
Dabei gilt: Je mehr passende Einzelkomponenten zusammenkommen, desto heftiger fällt die „Reizantwort“ (die Vehemenz des Jagens) aus (Reizsummation / Reizsummenregel). Wie wichtig und beachtenswert diese Regel ist, wird später noch erläutert werden.
Auch eine der Komponenten allein kann unter Umständen schon ausreichen, um eine Jagdsequenz auszulösen. Die Heftigkeit der hündischen Reaktion wird von der Qualität des auslösenden Reizes bestimmt.
Es ist biologisch übrigens nicht richtig, von JagdTRIEB zu sprechen, denn dann dürften NUR innere Antriebe des Hundes dafür verantwortlich sein, um Jagen auszulösen. Da aber immer auch „äußere“ Faktoren mitspielen, handelt es sich nicht um einen „Trieb“. „Handlungsbereitschaft“, „Jagdverhalten“ oder „Jagdmotivation“ wären richtigere Bezeichnungen.
Hat der Hund einen jagdauslösenden Reiz erst einmal wahrgenommen, beginnt er, eine Verhaltenskette abzuspulen, die genetisch festgelegt, also angeboren, ist, und einmal in Gang gesetzt nicht so leicht unterbrochen werden kann. Von außen auf den Hund wirkende Faktoren, die nichts mit der gerade stattfindenden Jagd zu tun haben, werden ab jetzt ausgeblendet.
Dieser sogenannte „Funktionskreis des Beutefangverhaltens“ besteht aus folgenden Einzelkomponenten:
Ungerichtete Appetenz
(Suche nach dem auslösenden Reiz)
↓
Gerichtete Appetenz
(Taxis = Ausrichten auf den Beutereiz)
↓
Gerichtetes Annähern
(Hund rennt los)
↓
Zupacken
↓
Töten
↓
Fressen
Es müssen nicht zwangsläufig alle Komponenten dieser Kette gezeigt werden (bei vielen Rassen sind nur bestimmte Komponenten des Jagdverhaltens züchterisch hervorgehoben worden).
Das ungerichtete Appetenzverhalten wird generell ohne das Wahrnehmen eines Außenreizes gezeigt. Beim Wolf ist Hunger der Auslöser dafür, Haushunde zeigen es auch, ohne Hunger zu verspüren. Trotzdem sorgen gerade beim Hund Lernerfahrungen dafür, dass an bestimmten Orten diese Suche nach dem auslösenden Reiz in erhöhtem Maße gezeigt wird, nämlich da, wo er schon gejagt, und den damit verbundenen „Hormonkick“ erlebt hat.
Je weiter sich der Hund in der Handlungskette befindet, desto wichtiger werden ganz bestimmte äußere Reize (vom flüchtenden Beutetier ausgehend), um das nächste Element zu starten.
Befindet sich der Hund erst einmal im „gerichteten Annähern“, ist also losgelaufen, wird es schwierig bis unmöglich, ihn noch mit akzeptablen Mitteln zu erreichen. Ab hier bewegt er sich im schon in Teil 1 beschriebenen „Tunnel“, der alle nicht zum Verfolgen der Beute relevanten Sinneskanäle quasi „abschaltet“.
Das heißt wiederum im Umkehrschluss, dass die „gerichtete Appetenz“ die letzte Sequenz der Kette des Jagdverhaltens ist, in der noch auf den Hund zumindest hypothetisch eingewirkt werden kann, um das Jagen zu unterbrechen. Hypothetisch deswegen, weil sie sehr kurz sein kann – manchmal nur Bruchteile von Sekunden.
Realistisch gesehen ist also das Einwirken schon während der ersten Sequenz der Beutefangkette (der Suche nach dem auslösenden Reiz) das Mittel der Wahl!!
Zum Schluss des zweiten Teils meiner Jagdartikelreihe möchte ich noch auf die zwei unterschiedlichen Hundetypen zu sprechen kommen, die man unabhängig von angeborenen Rasseeigenschaften unterscheidet, wenn man von Jagdverhalten spricht – die „echten“ Jäger und die „Pseudo“ – Jäger.
„Echte“ Jäger machen keine Gefangenen. Ihnen kommt es auf die Endhandlung an, sie haben also das Bestreben, ihre Beute wirklich zu packen und zu töten. Sie jagen sehr ernsthaft, und fangen nach dem Töten auch an zu fressen, oder bringen die getötete Beute zum Halter. Besonders Hunde aus dem Tierschutz, die sich schon allein „durchschlagen“ mussten, können ernsthafte Jäger sein, denn das Jagen gehörte bei ihnen zum Nahrungserwerb. Genauso kann sich eine solche Ernsthaftigkeit durch frühen Beuteerfolg einstellen. „Echte“ Jäger sind nur schwer davon zu überzeugen, dass es Alternativen zum Jagen gibt. Es ist oft schwierig, mit ihnen ein „Anti“ – Jagdtraining zu gestalten, denn dazu ist es hilfreich, Beutefangverhalten „künstlich“ auszulösen (Reizangel, Hasenzugmaschine, oä.).
Sie erkennen oft aber sehr zuverlässig, dass es sich nicht um erlegbare Beute handelt und jagen sie deshalb gar nicht erst.
Die jedoch einmal in Gang gesetzte Kette des Beutefangverhaltens zu unterbrechen, ist bei diesen ernsthaften Jägern eine große Herausforderung – auch wenn der Hund sich noch in den ersten Sequenzen befindet.
Es macht trotzdem Sinn, auch bei „echten“ Jägern daran zu arbeiten, Beutefangverhalten zu kontrollieren und zumindest zu minimieren, denn auch wenn die Erfolgschancen geringer sind, als bei den „Pseudo“ – Jägern, so sind sie doch vorhanden.
Damit wären wir bei den sogenannten „Pseudo“ – Jägern. Ihnen kommt es weniger auf die Endhandlung an, sondern mehr auf das Hetzen sich bewegender Objekte. Es ist ihnen meistens nicht so wichtig, wem oder was sie hinterherlaufen – da sind sie sehr variabel. Sogar Autos oder LKW können von ihnen als auslösende Reize bewertet werden, und das Hetzen auslösen. Ist man mit einem Hund dieser Kategorie gesegnet, kann man sich glücklich schätzen, denn es bestehen sehr gute Erfolgschancen, ein nachhaltig wirkendes „Anti“ – Jagdtraining mit ihm durchzuführen.
Warum dies so ist, möchte ich unter anderem in Teil 3 meiner Jagdartikelreihe beschreiben.
Darin soll es darum gehen, welche tragende Rolle bestimmte Hormone beim Jagen spielen, was das für den Aufbau von alternativem Jagdersatzverhalten heißt, und welche Unterschiede und auch Zusammenhänge zwischen Jagen und Aggression bestehen.
(c) Lennart Peters, www.miteinanderlernen.de
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