Irrtum:
In einem bekannten Hundeforum gibt es die Kategorie: „Was habt Ihr heute mit Eurem Hund gemacht?“ Dort schreiben User, wie sie den Tag mit ihren Vierbeinern verbracht haben. Häufig schreiben dieselben Benutzer täglich Beiträge, aus denen man schließen könnte, jeder Tag sei ein Sonntag für Ihren Hund. Die Schilderungen umfassen stundenlange Spaziergänge, Apportierarbeit, Suchspiele, Agility usw. Und das möglichst alles an einem Tag. Ganz selten findet sich dort ein Beitrag, in dem steht: „Nicht viel. Nur eine kleine Gassirunde.“
Es kommt das Bild auf, jeder Tag müsse für den Vierbeiner ein oder mehrere besondere Highlights umfassen. Als Halter, so scheint es, könne man nur mit schlechtem Gewissen an einem Tag das Unterhaltungsangebot auf ein Minimum beschränken.
Richtigstellung:
Hunde brauchen Auslastung. Keine Frage. Hunde brauchen Bewegung, gemeinsames Spiel, geistige Herausforderung. Neue Erfahrungen schweißen das Mensch-Hund-Gespann zusammen und machen glücklich. Auf beiden Seiten.
Aber: Muss das jeden Tag passieren? Schießt Ihnen jetzt ein lautes „Ja!“ durch den Kopf oder kommt über Ihre Lippen, so schließt sich direkt meine nächste Frage an: „Warum?“ Ich behaupte kühn und formuliere ganz platt: Weil man das halt so macht. Man liest es in jedem Forum, in jeder Zeitschrift, hört es in der Hundeschule oder von anderen Haltern.
Ich habe lange Zeit selbst geglaubt, es müsse so sein. Egal, wie lang und anstrengend mein Tag war. Kam ich nach Hause, schnappte ich mir meine Vierbeiner und die Hundeleinen und ging los. Sofort. Meine Hunde hatten schließlich den ganzen Tag auf mich gewartet und ich war es ihnen schuldig.
So kam es immer wieder zu Spaziergängen, insbesondere wenn ich gestresst war, die alles andere als harmonisch verliefen. Ich war unter Druck, meine Hunde spürten es, verhielten sich dementsprechend natürlich genauso angespannt – und ich ärgerte mich.
Ich muss offen zugeben: Es gab die ein oder andere Situation, in der ich mich meinen Hunden gegenüber nicht fair verhielt, weil ich zu streng zu ihnen war – obwohl sie nichts dafür konnten. Ich war es, die meine Angespanntheit auf sie übertrug und sie damit unbewusst dazu brachte, sich z.B. räumlich von mir zu distanzieren oder sich von anderen Reizen ablenken zu lassen. Warum sollten sie sich auch auf mich konzentrieren? Ich konnte mich in diesen Momenten ja selbst nicht gut ertragen!
Es gibt einfach Tage, an denen man als Halter selbst nicht bei sich ist – wie soll es dann der eigene Hund sein? Wenn ich mich als Halter nicht auf meinen Hund einlassen kann, weil mich andere Dinge beschäftigen, kann ich nicht verlangen, dass sich mein Hund an mir orientiert.
Bevor ich deswegen ungerecht handle, weil ich z.B. (noch) nicht in der Lage bin, Stress beiseite zu schieben: Ist es nicht die fairere Lösung, statt eines stundenlangenen Spaziergangs, der überwiegend aus Frust besteht und von dem so keine Seite profitiert, nur eine kleine Runde zu gehen? Den Hund einfach mal an der Leine zu lassen? Stattdessen z.B. zu Hause, sofern beides es wollen, zu kuscheln und zur Ruhe zu kommen? Einträchtig zu sein, statt sich wegen Kleinigkeiten draußen kurzzeitig zu „entzweien“?
Ich bin der Meinung, dass ein Großteil der Hundehalter, die ihrem Hund jeden Tag ein erfüllendes Programm bieten möchten, selbst gut – zumindest zwangsläufig – damit zurecht kommen, mal einen Tag nur mit Arbeit oder anderen Verpflichtungen zu überstehen.
Sie gehen schließlich auch nicht jeden Tag Essen oder ins Kino – wieso sollte Ihr Hund es nicht überleben, einen Tag lang wenig zu tun?
Ganz im Gegenteil ist es eher so, dass Hunde, denen jeden Tag viel Unterhaltung geboten wird, diese dauerhaft auch einfordern. Dementsprechend gering ist ihre Frustrationstoleranz, wenn es mal keine Action gibt. Um Ausgeglichenheit herzustellen, muss es beides geben: Auslastung, aber auch Ruhe!
Und: Auch Hunde sind manchmal einfach „platt“. Ist ein besonders ereignisreicher Tag vorangegangen, sind die meisten Hunde zufrieden, wenn sie sich ausruhen und das Erlebte verarbeiten können. Statt wie wir es tun, einen Tag nur mit einem Buch oder vor dem Fernseher zu verbringen, können sie wunderbar einen Tag schlafen oder „rumgammeln“.
Übrigens, was das Thema angeht, sofort nach einem Arbeitstag aufzuspringen und mit den Hunden rauszugehen: Die meisten Hunde überleben, sofern die Blase nicht übervoll ist, sehr gut, dass Sie zunächst einen Kaffee trinken, kurz durchatmen und erst dann losgehen.
Gönnen Sie sich selbst zunächst ein wenig Ruhe und Entspannung – dann können sie diese an ihren Hund auf dem Spaziergang weitergeben. So können Spaziergänge nicht nur ausgedehnt werden – sondern auch harmonisch. Das, behaupte ich, ist jedem Hund wichtiger als die Dauer.
Dieser Beitrag tut nur gut!! Auch ich war früher der Ansicht, viel hilft viel. Auch ich bin nach der Arbeit noch stundenlang mit meinen Beiden ins Berliner Umland gefahren…
Erst jetzt weiß ich, in der Ruhe liegt die Kraft. Bei meinem jetzigen Hund, wieder einem Hovi, begann ich umzudenken…Nicht so leicht, denn die Hundebesitzer in Berlin sind in einem förmlichen „Actionwahn“ und jeder, der sich anders verhält, bekommt einen merkwürdigen Blick … Geholfen, dabei sicherer zu werden, hat mir ein Freund, selber seit vielen Jahren Hundeausbilder. Dadurch, dass mein Fritzchen eine ganz besondere Herausforderung ist mit seinem, für mich schon unerwünschten, Jagdtrieb, musste ich zwangsläufig umdenken, um eben diesen Trieb umzuleiten in Bahnen, wo ich nicht ständig beinah einem Nervenzusammenbruch nahe war, weil er mal wieder abdüste und alle Ohren weg geklappt hatte.. Das ist mir wirklich gelungen und da bin ich mächtig stolz drauf. Und eben hierbei war die Balance zwischen zielgerichteter Bewegung und den Ruhephasen von großer Bedeutung. Inzwischen werde ich sogar um Tipps gebeten, wie ich es geschafft habe, einen so ausgeglichenen Hund zu haben…
Eigene Disziplin, Konsequenz und last not least – Liebe, haben es möglich gemacht. Inzwischen sind sogar die , wie ich sie nenne, „Dödelspaziergänge“ drin, ich kann Fritzi einfach mal tun lassen…immer mit einem kleinen Auge bei ihm …
Danke für deinen Beitrag!
LG aus Berlin..
Evelyn
Hallo Evelyn!
Lieben Dank für Deinen Kommentar.
Es klingt wirklich so, als hättet Ihr eine tolle, harmonische Basis gefunden – klasse.
Du sprichst ein interessantes Thema an: Die Ausgeglichenheit zwischen Ruhe und Action – auch (bzw. besonders) bei Jagdtrieb. Es entsteht allzu häufig das Missverständnis, einem ausgeprägten Jagdtrieb müsse man das entsprechende Gegenprogramm biten – durch besonders viele Angebote. Das kann tatsächlich allzu schnell auch ins Gegenteil umkippen. Die Balance macht’s!
Viele Grüße aus Köln!
Ja, auch mich als Hundetrainerin beschleicht oft das schlechte Gewissen, meinen Hund nicht genug „auszulasten“.
Nun sind ja erfahrungsgemäß kleine Terrier, wie meine Chica, sehr bewegungsfreudige Hunde und fordern den Menschen geradezu auf, sich mit ihm zu beschäftigen. Hier hat es sich bei uns als hilfreich herausgestellt, nach einem stressigen Tag erst einmal herunter zu fahren. Ich mache das, indem ich mich zu Chica auf den Boden setzte und ihr eine kleine Massage gönne. Hierbei können wir beide richtig entspannen und runterfahren. Denn erst wenn ich wieder zu mir gefunden habe, bin ich bereit, meine volle Aufmerksam- und Achtsamkeit in eine gemeinsame Tätigkeit einfließen zu lassen. Und dies mache ich dann gerne und mit viel Freude.
Danke liebe Johanna für den wunderbaren Artikel.
Liebe Barbara!
In deinen Schilderungen findet sich der wichige Grundsatz wieder, über den wir schon häufig gesprochen haben, allerdings meistens in bezug auf den Hund: Erst Ruhe, dann Aufmerksamkeit, gemeinsame Tätigkeiten usw.
Warum sollte das nicht auch für uns Halter gelten?
…und manchmal bleibt es auch einfach einen Tag lang bei der Ruhe. Auch das lässt uns doch mit unseren Hunden zusammenrücken, wenn wir ganz eins nebeneinander auf dem Boden oder der Couch sitzen/liegen usw.
Danke Dir für Deine schöne Rückmeldung!
Liebe Grüße!
Liebe Johanna, ich denke, wenn der Halter sich nicht in der Ruhe befindet, so kann der Hund auch keine Ruhe in ausgelassenen Spaziergängen finden. Ich kann den Spaziergang, den Run, das Spielen und Toben mit meinem Hunden nur dann genießen, wenn ich im richtigen Gemütszustand bin. Dann klappt alles reibungslos und selbst mit einem sehr kurzen Spaziergang kann ich einen glücklichen Hund haben. Ich denke, es kommt auf meine Konzentration und mein Empfinden im Umgang mit dem Hund an. Je sicherer ich mich fühle, je konzentrierter ich bin, desto sorgloser ist mein Hund und kann sich entfalten. Und diese Entfaltung im Spiel, Teamwork oder einfach mal nur so zu sehen, sorgt für meine Ruhe und Entspannung.
Liebe Inga,
Du bringst es auf den Punkt.
Bei aller Liebe, für meinen Hund alles tun zu wollen: Erst, wenn es mir richtig gut geht, kann ich für meinen Hudn optimal sorgen.
Liebe Grüße!
Wieder mal keine Einwände! Und der Bericht entlastet mich einwenig. Ich habe ein Irischen Wolfshund 1 J. alt die meisten Leute sagen der muss aber viel aus lauf haben! Ist ja gar nicht so, und schon mal gar nicht in den ersten 15 Mon. da sollte diese Rasse geschont werden! Die meisten schauen dann doof aus der Wäsche ))
Hallo Egon!
Ja, viele Leute glauben: „Je größer, desto mehr Bewegung.“ – nur wer sich mit dem Thema etwas beschäftigt, weiß, dass das so pauschal nicht stimmt.
Insbesondere nicht bei Welpen/Junghunden großer und/oder schwerer Rassen.
Schön ist es, wenn die Leute interessiert sind, zu erfahren, wie es wirklich ist.
Herzliche Grüße,
Johanna
Liebe Johanna,lese mit Freude deinen Bericht. Betsy ist ja ein Schafpudel,also ein Hütehund und anfangs haben mir alle gesagt,daß diese Rasse körperlich gut ausgelastet werden muß,das war nicht gut. Inzwischen habe ich einen gut ausgeglichenen Hund,weil ich sie weniger körperlich sondern mental auslaste und nicht stundenlang mit ihr durch die Pampa latsche,klar gibt es Tage,wo sie mit großer Freude mit meinem Mann 12 km Rad über Deiche oder durch Wälder düst,aber genauso genießt sie es,so wie jetzt grade,auf dem Rücken liegend zu relaxen oder mit uns alle Mann hoch auf dem Bett zu kuscheln und uns ihr Hundelachen zu schenken. Danke für die tollen Berichte
Liebe Petra,
vielen Dank für Deinen Kommentar!
Ich freue mich sehr, dass Ihr inzwischen einen so guten Mittelweg gefunden habt zwischen Action – körperlich und mental – und Ruhe!
Bestimmt dankt es Dir Betsy mit einem entsprechend ausgeglichenen Gemüt, oder?
Herzliche Grüße!
Johanna
Liebe johanna, da fällt mir doch gleich ein Stein vom Herzen. Ich habe einen Strassenhund von Rumänien zu mir genommen und solch ein Hund braucht viel Nerven und Geduld, dies nehme ich auch sehr gerne auf mich. Da ich auch nur ein Mensch bin, gibt es Tage an denen ich einfach ausgelaugt bin und die Panikattacken meines Hundes mich zum verzweiflen bringen, an solchen Tagen, habe ich nur kurze spaziergänge gemacht und hatte dann ein schlechtes gewissen. Wir gehen bald in die Hundeschule. Ich wollte mich vorher etwas informieren, befor ich da verurteilt werde, aber so wie es aussieht mache ich gar nicht viel falsch . Vielen dank auch für die offenen und ehrlichen Komentare. Meine Nelly hat so ziemlich vor Allem und jedem Angt und auch einen starken Jagttrieb…bin auch um Ratschläge dankbar
Vielen herzlichen dank.
Liebe grüsse
Simone
Liebe Johanna,
ich habe mich ganz verrückt machen lassen von Hundetrainern und diversen Hundeforen. Unser 7 monate alter Tiby ist oft so überdreht, dass wir ihn gar nicht mehr bändigen können. Anfangs dachte ich, er ist zu wenig ausgelastet und erfand alles Mögliche um ihm etwas zu bieten Mittlerweile bin ichzu dem Schluss gekommen, wie Du so schön schreibst, alle Tage ist nicht Sonntag. Und unser Tiby braucht auch Ruhe und maches Mal Langeweile.
Der Hund sollte sich in den Alltag integrieren, ein gesundes Miteinander und ein ausgewogene Beschäftigung dies ist mein Ziel für uns!
Danke für Deinen Beitrag! Er ist für mich sehr entspannend!
VLG Heidrun