Irrtum:
In vielen Hunderatgebern und -foren steht immernoch, dass der Mensch vor dem Hund durch Türen gehen sollte. Als Rudelführer sei er dafür verantwortlich, Revier zu erschließen. Es würde zudem seine Überlegenheit zeigen. Ginge der Hund vor, so sei dieses ein Versuch, Vorrang vor dem Menschen zu erhalten.
Richtigstellung:
Es gibt Hunde, die sich freiwillig, insbesondere in unbekannter Umgebung, ihrem Menschen hinten anschließen. Herzlichen Glückwunsch an all die Hundehalter, die so einen Hund haben!
Ich habe dieses Glück nur bei einem meiner Hunde – der andere lebt nach dem Motto „Mir nach, ich folge Euch!“, anders ausgedrückt: „Ich habe zwar keinen Plan, aber ich renn mal vorneweg.“ Dieser Jungspund würde mich liebend gern auch auf der Treppe über den Haufen rennen – oder in die Wohnung stürzen, sobald ich die Tür zu dieser aufschließe, um gleich mal zu klären, ob noch alles in Ordnung ist.
Das war meine flapsig dargestellte persönliche „Problemstellung“.
Um das Ganze mal etwas nüchterner zu betrachten:
Generell gehört das Privileg, Raum zu betreten in hündischen Sozialgefügen dem Überlegenen. Dieses können wir uns auch in der Mensch-Hund-Beziehung zunutze machen – indem wir z.B. den Hund in bestimmten Situationen hinter uns laufen lassen und ihm damit vermitteln: „Ich gehe vorneweg und kläre die Probleme, die sich uns möglicherweise in den Weg stellen werden.“ Es macht daher durchaus Sinn, seinen Hund, insbesondere in brenzligen Situationen, hinten zu führen; zu Gunsten einer besseren Kontrollierbarkeit und zu Gunsten der erläuterten Message an den Hund, dass er gerade nicht verantwortlich ist. Das kann sehr wohl vor einer Tür sein – hinter der sich z.B. etwas für den Hund sehr Ungewohntes befindet und bei dem ich ihm durch das Vorangehen zeige: „Ich kümmere mich darum.“
Ein Hund, der seinen Menschen achtlos anrempelt beim Versuch, die Treppe zu erst zu erklimmen und dann in die Wohnung zu schlüpfen, ist in erster Linie eins: Respektlos! Dafür verdient er einen Rüffler und die Ansage, dass er zu warten hat bzw. hinter mir zu bleiben hat.
Per se hat dieses Verhalten jedoch nichts mit einem generellen Streben nach Überlegenheit zu tun – nur mit der einfachen Ansicht „So lange Frauchen/Herrchen nichts sagt, kann ich es ja mal versuchen.“ (Ähnlich wie ein Jugendlicher, der Sie in der U-Bahn anstößt, nicht automatisch glaubt, er wäre Ihnen überlegen.)
Genauso wenig beweise ich mich also als überlegener Sozialpartner dadurch, dass ich als Erster durch die Tür gehe.
Wogegen ich mich daher ausspreche ist die generelle Regel, der Mensch müsse vor dem Hund durch die Tür gehen, und zwar aus folgenden Gründen:
Zum Einen signalisiert es keine menschliche Überlegenheit, wenn Respekt vom Hund nur an dieser einen Stelle eingefordert wird. Es braucht mehr, um den Respekt seines Hundes zu erlangen. Fordere ich hier Ruhe ein, muss das Ganze in einen Erziehungskontext eingebettet sein.
Zum Anderen macht es keinen Sinn, aus Prinzip etwas vom Hund zu verlangen. Wenn ich mir selbst nicht sicher bin, warum ich dieses oder jenes verlange, bin ich nicht authentisch. Und genau das kommt beim Hund an. Totale Inkongruenz zwischen dem, was ich fordere und dem was ich fühle. Selbst wenn der Hund sich brav hinsetzt, rattert es möglicherweise in seinen Gedankengängen „Ok Frauchen, ich tu’s für Dich. Aber was bezweckst Du damit eigentlich?“ Auch das führt nicht dazu, dass mein Hund mich respektiert – eher, dass er mich seltsam findet.
Weiter gilt es zu überlegen: Wenn ich Ordnung und Struktur an der Türschwelle einfordere: Was passiert, wenn Hund und Mensch diese übertreten haben?
Bricht dort wieder das „Chaos“ aus, d.h. gibt es dort keine festen Regeln für den Hund, nutzt auch das Innehalten an der Türschwelle nichts.
Darüber hinaus gibt es weitaus wichtigere Situationen, in denen der Mensch den Hund hinten führen sollte. Wie bereits erwähnt z.B. in unbekanntem Gebiet.
Und schlussendlich: Es kann auch einfach praktisch sein, Hund mal vor sich durch die Tür gehen zu lassen. Zum Beispiel, wenn sein Mensch schwere Taschen in der Hand hält, vor der Wohnungstür noch Vorräte stehen und er den Hund in dem Moment einfach schnell „aus dem Weg“ haben möchte.
Deswegen plädiere ich für weniger Dogmatismus – und für klare räumliche Begrenzung – dort, wo es wirklich um etwas geht!
Danke Johanna,
Du hast es genau auf den Punkt gebracht.
Bonnie liebt es z. B. mich auf der Treppe zu überholen, um sich dann ein paar Stufen vor mir umzudrehen und mir das Gesicht zu „waschen“. Eine der wenigen Möglichkeiten, bei mangelnder Körpergröße, an diese Stelle ranzukommen…
Trotzdem kennt sie ganz genau ihren Platz im Rudel. Oder dominiert sie mich?
Liebe Grüße
Heike
Haha! Klar dominiert sie Dich! Und hat Spaß dabei!
Treppe hoch darf Cookie mich auch manchmal überholen. Und mir übermütig in die Hand beißen. Das ist der Ausgleich dafür, dass er sich sonst zügeln muss.
Hallo Johanna
Sehr schön geschrieben und gut auf den Punkt gebracht.
Wenn das nicht vor laufen an der Tür die einzige Regel im Alltag eines Hundes ist, dann hat das wenig mit Struktur zu tun.
Es ist wirklich nicht entscheident, wer als erstes durch die Tür geht. Viel wichtiger ist aber, wer die Entscheidung trifft.
Entscheide ich das der Hund vor darf, dann ist doch alles super
Hallo Melanie!
Danke für Deine nette Rückmeldung
Und wenn es mal der Hund entscheidet…dann liegt es auch noch an mir, ob ich es zulasse – oder entsprechend darauf reagiere.
Herzliche Grüße!
Johanna
Liebe Johanna, ich bin auch der Meinung, dass man mit den ganzen Erziehungsdogmen vor allem dressiert aber eben nicht erzieht. Man wird immer wieder darauf hingewiesen, wie Hunde bzw. Wölfe sich im Rudel untereinander verhalten, mit dem Hinweis darauf, man habe sich so zu benehmen, wie es das Alphatier auch tun würde. Natürlich soll man einen Hund nicht vermenschlichen, einen Menschen aber auch nicht verhundlichen.
Ich glaube, da unterschätzen wir die Hunde. Ein Hund kann durchaus unterscheiden, ob sein Gegenüber der eigenen oder einer anderen Spezies angehört. Könnte er das nicht, wäre eine Freundschaft z.B. zu Katzen – die ja eine vollkommen andere Kommunikationsstruktur haben – ausgeschlossen. Und Hunde sind sogar so klug zu merken, wann ein Verhalten aufgesetzt ist. Wenn ein klarer, integerer Mensch seinen Hund also vor sich durch die Tür rennen lässt, wird der Hund ganz sicher nicht auf die Idee kommen, dass er jetzt der Führer ist. Und wenn umgekehrt ein unsicherer ängstlicher Zeitgenosse darauf besteht, zuerst durch die Tür zu gehen, wird das seinen Hund auch nicht von seinen Führungsqualitäten überzeugen.
Ich bin glückliches Frauchen eines „Terriors“ (Beagle-Jagdterrier-Mix) und habe mich von der Idee verabschiedet, dass immer alles nach meinem Kopf geht. Nachdem ich eingesehen habe, dass alle Tricks und Tipps nur Krücken sind, empfinde ich es als große spannende Herausforderung, situationsbezogen zu entscheiden. Dabei mache ich manchmal Fehler und manchmal bin ich erfolgreich. Hier kommt es auf die Erfahrungen mit eben diesem einen Hund an.
Liebe Claudia,
Du sprichst mir mit vielen Dingen aus der Seele.
Ich finde durchaus sinnvoll, sich mit Strukturen des Zusammenlebens von Hunden bzw. Wölfen untereinander auseinanderzusetzen, um unsere vierbeinigen Freunde besser verstehen zu können – und manches tatsächlich auch als Hilfe nehmen zu können, um mit dem Hund zu kommunizieren – und Missverständnisse zu vermeiden. Aber natürlich weiß ein Hund sehr gut (bzw. mit der Zeit immer besser), dass Menschen anders „ticken“. So lässt es mein Hund natürlich beispielsweise zu, dass ich eine Hand oder beim Kuscheln meinen Kopf auf seinen Rücken lege – und wertet das nicht als Imponiergehabe meinerseits. Genauso passend ist Dein Beispiel, dass Hunde lernen können, Katzenverhalten zu deuten.
Ich habe selbst einen Podi-wahrscheinlich Terrier-Irgendwas-Mix und kann Deine Erfahrungen gut nachvollziehen, damit eine Sorte Hund zu haben, die einen eigenen (Dick-)Kopf hat Für mich war es ebenfalls ein Lernprozess, je nach Situation abwägen zu können, ob mein Hund gerade nicht hören kann, nicht hören will – und ob ich auf ein bestimmtes Verhalten bestehe oder eben auch mal „Fünfe gerade sein“ lasse (Beschrieben auch in „Du muss konsequent sein!“ oder „Der muss gehorchen!“. Und nur das tähliche Abwägen und situative Entscheiden ist lebensnah, finde ich. Hunde sind eben keine Steiff-Tiere, sondern genauso verschieden, wie wir Menschen es sind. Aber gerade das macht ja den Reiz aus.
Herzliche Grüße!
Vielen Dank für Dein Feedback Johanna.
Da Du auch so ein Sturköpfchen hast, und ich aus Bonn komme, werde ich mich in den nächsten Monaten mit Dir in Verbindung setzen und Dein Coaching in Anspruch nehmen. Freue mich schon drauf!
Liebe Claudia,
sehr gern
Freue mich, von Dir zu hören!
Herzliche Grüße!
Hallo zusammen Vielen Dank für den Beitrag und die Antworten darauf. Es tut gut zu sehen und zu lesen das es noch kluge und „gelassene“ Hundefreunde im Internet gibt. Ich möchte mich hier auch gar nicht weiter dazu öffnen da meine Hundeerfahrung nicht wirklich groß ist. Mein 5 Jahre Alter Rüde (Ridgeback/staffmischling) hab Ich aus dem Tierheim. Die ersten 3 Jahre seines Lebens musste er bei einem Drogenverseuchten Jugendlichen verbringen. Sowas wie Erziehung durfteer nicht genießen, stattdessen das Stachelhalsband mit den stacheln nach innen (zum hals) und als bespaßung der Freunde seines Herrchens wurde auch der Inhalt eines Feuerlöschers in seiner Schnauze entleert. Wer jetzt glaubt das es für sein Verhalten wichtig USt wer als erstes durch die Tür geht der hat sich gewaltig geschnitten. Wichtig für Ihn ist nur das wieder vertrauen zum Menschen entwickelt….Ich denke das jeder HUND ein einzelStück ist auf den die ganzen Klugen für die Allgemeinheit geltenen Weisheiten nicht und niemals zutreffen…..Ich für meinen Teil lasse meinen besten Freund 24h am Tag das sein was er ist….ein Hund.
Hallo Marcus,
die Geschichte Deines Hundes ist wirklich grauenvoll und mir schießen Tränen in die Augen, wenn ich mir vorstelle, wie schrecklich die Erfahrungen für Deinen Hund gewesen sein müssen.
Gott sei Dank warst Du „mutig“ genug, einen Hund mit so einer Vorgeschichte aufzunehmen.
Schön, dass er jetzt bei Dir ein gutes Leben hat und wieder Vertrauen in den Menschen gewinnen konnte.
Alles Gute für Euch!
Herzliche Grüße,
Johanna
Danke für die gelungenen Ausführen. Genauso ist es. Du hast es auf den Punkt gebracht.
Gerade, wenn man mehrere Hunde hat – und jeder gern Erster sein will, ist es ganz wichtig, vor der Tür (egal ob drinnen oder draußen) erstmal zur Ruhe zu kommen. Mit all den anderen Sachen, z.B. ins Auto, raus aus dem Auto, bei der Fütterung, vor dem Sprung auf´s Kuschelsofa usw. sollte es genau so sein. Und wer dabei als erster ruhig ist, der ist dann auch der Erste der darf. Nur so bekommt man für immer und in jeder Situation Ruhe ins Rudel. Und nur wer ruhig ist, kann auch aufmerksam auf seinen Menschen achten. Wie z. B. im Schulunterricht damals auch. Wer da zappelt und stört, hört nicht zu, was der Lehrer vorn spricht.
Wenn ich mit meinen 3 Hunden im Freilauf durch die Natur streife und wir kommen an sehr unübersichtliche Ecken, verbiete ich ihnen mit einem Geräusch und einer Bewegungseinschränkung, daß sie ab jetzt vor mir laufen. Ich gehe somit dann solange voran, bis ich wieder die Übersicht über´s Gelände habe. Anschließend gebe ich ihnen dann den Bereich vor mir wieder mit einem freundlichen und hellen „Okay“und einer langen ausgestreckten Armbewegung nach vorn wieder frei. Das klappt so super! Und wir erleben keine bösen Konfrontationen mehr mit z.B. plötzlichen Hundebegegnungen die um die Ecke kommen, gefährlichen Radfahrern usw. Für solche Sachen brauche ich aber Respekt, Konzentration und Ruhe im Rudel, sonst klappt es nicht.