Im 3. Teil unserer Jagd – Artikelreihe geht es darum, warum Hunde beim Jagen einen regelrechten (Hormon)Kick erleben, was das für den Aufbau von alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten heißt, welche Beschäftigungen NICHT geeignet sind, und welche Unterschiede und auch Zusammenhänge zwischen Jagen und Aggression bestehen.
Im Rausch – Von der Sucht nach Dop(e)amin
Wenn ein Hund jagt, wird ein Cocktail chemischer Botenstoffe / Hormone ausgeschüttet, der extrem selbstbelohnend wirkt und unter bestimmten Bedingungen sogar süchtig machen kann.
Die wichtigsten Beteiligten sind das Adrenalin, Noradrenalin und das Dopamin.
Diese Hormonmischung hat es „in sich“. Sie macht den Hund besonders leistungsfähig und sorgt für eine Fokussierung auf die Beute. Sie mobilisiert die vorhandenen körperlichen Reserven. Der Herzschlag wird erhöht, die Atmung beschleunigt und die Leber wird angeregt, zusätzliche Zuckerreserven freizusetzen. Gleichzeitig wird der Hund schmerzunempfindlicher. Der Sauerstoffaustausch wird zusätzlich zur beschleunigten Atemfrequenz optimiert.
Adrenalin hat eine Halbwertzeit von ca. 20 Minuten, was bedeutet, dass nach 20 Minuten noch die Hälfte vorhanden ist, nach weiteren 20 Minuten noch ein Viertel, nach weiteren 20 Min noch ein Achtel, usw. Der vollständige Abbau auf einen normalen Wert dauert also dementsprechend lange.
Das Dopamin ist ein körpereigenes Opiat und sorgt vornehmlich für eine sehr effiziente Selbstbelohnung. Unter Dopamineinfluss empfinden Hunde ein extremes Glücksgefühl, das sie gerne immer wieder erleben möchten. Es wird also wahrscheinlicher, beim nächsten auslösenden Reiz Jagdverhalten zu zeigen, weil sich der Organismus daran „erinnert“, welch tolles Gefühl das Jagen / Hetzen die Male davor erzeugt hat. Es hat eine kurze Halbwertszeit (1-5 min) und wird unter anderem zu Adrenalin abgebaut.
Ursprünglich war das Ausschütten dieses leistungssteigernden und selbstbelohnenden Hormoncocktails während der Jagd sehr wichtig . Die Natur hat damit für zwei grundsätzliche Dinge gesorgt:
1.) Wiederholung trotz Misserfolg. Normalerweise unterliegen Verhaltensweisen, die für ein Individuum nicht zum Erfolg führen, also keinen Vorteil bringen, einer Löschung. Sie werden immer weniger oft wiederholt, bis sie evtl. gar nicht mehr gezeigt werden. Da davon auszugehen ist, dass eine begonnene Jagd nicht immer zum Erfolg führt, der Beutegreifer aber auch nicht verhungern darf, hat die Evolution ihn mit dem oben beschriebenen dopaminbasierten Selbstbelohnungssystem ausgestattet. Besonders eine am Anfang der Verhaltenskette „Beutefangverhalten“ stehende Handlung ist davon „betroffen“, nämlich das Hetzen. Somit ist garantiert, dass die Handlung des Hetzens trotz Entkommens der Beute immer wieder gezeigt wird.
2.) Der hündische Organismus ist extrem leistungsfähig. Er mobilisiert alle vorhandenen Leistungsreserven. Die herabgesetzte Schmerzempfindlichkeit lässt den Hund während des Jagens entstehende Verletzungen nicht spüren, geschweige denn, die Jagd deswegen zu unterbrechen. Dies hilft ihm, Hindernisse wie Dornenhecken und dichtes Unterholz einfach zu durchlaufen. Bei der Jagd eingesetzte Terrier werden regelmäßig von Wildschweinen schwer verletzt, erfüllen aber trotzdem „ihre Pflicht“, bis sie eingesammelt und wieder zusammengeflickt werden. (Ich möchte betonen, dass ich solche Jagdeinsätze nicht befürworte, doch sie sind beispielhaft für den von Rausch und von Schmerzunempfindlichkeit beherrschten Zustand, in dem sich jagende Hunde befinden.)
Wenn man sich diesen Zustand vor Augen führt, wird klar, warum ein jagender Hund mit akzeptablen Mitteln nicht mehr erreicht werden kann, und dass ein sinnvolles „Antijagdtraining“ nicht darauf ausgelegt sein darf, einen jagenden Hund in seinem Tun zu unterbrechen, sondern darauf, dass er gar nicht erst jagen geht. Prävention ist hier das Zauberwort.
So viel Sinn das Ausschütten dieses beschriebenen Cocktails nebst all seiner Eigenschaften für den wild lebenden Caniden macht, so viele Probleme bereitet es Haltern von Hunden, deren Talente im Beutefangverhalten liegen. Dabei geht es nicht nur um jene Vierbeiner, die in der Natur Beutetieren nachstellen, sondern auch um die, die alle möglichen Objekte verfolgen, sobald sie sich bewegen.
Die hocheffiziente Selbstbelohnung des Hetzens ist für viele hündische Verhaltensweisen verantwortlich, mit denen nicht nur unsere menschliche Gesellschaft Probleme hat, sondern auch der Hund selbst. Sie macht es erst möglich, dass Hunde zu sogenannten Balljunkies werden können.
Bei Hunden, die Tag für Tag damit beschäftigt werden, dass ihnen immer wieder Bälle, Frisbees, Stöckchen oder andere Objekte geworfen werden, denen sie dann unreflektiert nachjagen, sorgt die Selbstbelohnung des Hetzens dafür, dass sie früher oder später eine Sucht danach entwickeln. Sie haben nichts anderes mehr im Sinn, als ihr Wurfobjekt. Ihnen ist egal, wer es wirft, Hauptsache, es fliegt, denn der Kick, den sie dabei erleben, findet weit weg vom werfenden Menschen statt. Somit wird das berauschende Glücksgefühl noch nicht einmal mit dem dem Halter positiv in Verbindung gebracht. Der Mensch wird zur anonymen Wurfmaschine seines Hundes.
Abgesehen davon, dass solche Balljunkies mit einem stetig erhöhten Stresshormonlevel klarkommen müssen, birgt das immer wieder künstlich durch unwissende Hundehalter ausgelöste Hetzen weitere Gefahren.
Es kann eine Generalisierung in der Form stattfinden, dass zum eh schon falsch gelernten Beuteobjekt „Ball“, andere sich bewegende Dinge hinzukommen. Das kann soweit gehen, dass Hunde im Angesicht einer weit entfernten Autobahn wild kläffend in der Leine hängen, weil sie die dort fahrenden Autos verfolgen wollen.
Wirklich tragisch wird es, wenn Balljunkies auf Hundefreilaufflächen mit ihren Suchtobjekten „beschäftigt“ werden. Dort kann es zu schlimmen Unfällen durch fehlgeleitetes Beutefangverhalten kommen, wenn die schon genannte Reizsummenregel greift. Diese besagt nämlich, dass ein jagdlich relevanter Reiz umso interessanter wird, je mehr jagdauslösende Eigenschaften er in sich vereint.
Ein (großer) Hund, der seinem Ball nachjagt, wird genau dann vor eine Entscheidung gestellt, wenn dieser Ball neben einem (kleinen) weißen Hund mit Strubbelfell landet. Sein Gehirn entscheidet in Sekundenbruchteilen, welchem Reiz zu entsprechen jagdlich erfolgversprechender ist. Es entscheidet, ob es sinnvoller ist, einen neongrünen Ball zu packen, oder ein puscheliges Fellbündel, das sich auch schnell bewegt und vielleicht sogar hohe Töne von sich gibt.
Diese oft fatale Entscheidung kann der Hund nicht willentlich beeinflussen, und sie kann schnell mit dem Tod eines kleinen Lebewesens enden.
Selbst Menschen können von Hunden verletzt werden, die fehlgeleitetes Beutefangverhalten zeigen. Dabei handelt es sich oft um Kinder, die zufällig mit ähnlichen Objekten spielen, mit denen der Hund normalerweise seine Hetzleidenschaft befriedigt. Zunächst wird vom Hund das Objekt (meistens ein Ball) anvisiert, worauf er losrennt. Ein Kind, was einen Hund auf sich zurechnen sieht reagiert naturgemäß mit Flucht. Fällt das flüchtende Kind nun noch hin und / oder schreit dabei auf, passiert unter Umständen etwas ähnliches, was ich schon beim Beispiel mit dem kleinen puscheligen Hund beschrieben habe.
Genau einem solchen Fall haben wir unsere (unsinnigen) Hundeverordnungen zu verdanken – aber das ist ein anderes Thema.
Die Quintessenz ist, dass besonders Hunde mit Jagdmotivation NICHT mit dem Werfen von Bällen, Stöckchen, Frisbees, oder anderen Objekten beschäftigt werden sollten. Auch Hunden, die offensichtlich keine jagdlichen Ambitionen haben, kann über solches Hetzen das Jagen schmackhaft gemacht werden. Es gibt genug andere spannende Beschäftigungsmodelle, die sehr viel Spaß machen, den Hund auf sinnvolle Art und Weise auslasten und nicht zu fehlgeleitetem oder übersteigertem Beutefangverhalten führen. Dazu gleich mehr.
Im Folgenden möchte ich kurz auf die Unterschiede und Zusammenhänge zwischen Jagd- und Aggressionsverhalten zu sprechen kommen.
Grundsätzlich hat Jagdverhalten und Aggressionsverhalten nichts miteinander zu tun. Beides gehört zu einem eigenen Funktionskreis und wird in jeweils anderen Teilen des Gehirns abgehandelt.
Zum Aggessionsverhalten, das normalerweise eine Distanzvergrößerung zum Ziel hat, gehört in den meisten Fällen auch vorheriges Drohen, das eine Eskalation verhindern soll. Es wird also kommuniziert.
Beim Jagdverhalten dagegen soll keine Distanz geschaffen werden, sondern es ist darauf ausgelegt, die Distanz zur Beute möglichst schnell und effektiv zu verringern. Es findet also generell keine Kommunikation mit der Beute statt, sie wird möglichst schnell eingeholt, gepackt und getötet.
Trotz dieser verschiedenen Klassifizierungen von Jagd- und Aggressionsverhalten gibt es gewisse Überschneidungen. Oft spricht man hier von „Beuteaggression“.
Beuteaggression wird dann gezeigt, wenn Beute sich gegen den jagenden Hund stellt, und sich wehrt. Die Beuteaggression ist vor allem bei Jagdhunden züchterisch hervorgehoben worden, bei denen davon auszugehen ist, dass sie auf wehrhafte Beute treffen und sich gegen sie behaupten müssen.
Dackel und kleine Terrier, die sich in dunklen Höhlen und Gängen mit Füchsen oder Dachsen konfrontiert sehen, sollen sich dort genauso zur Wehr setzen, wie jene, die von einer gestellten Wildsau angegriffen werden.
Führende Verhaltensbiologen gehen davon aus, dass ein solches vermischtes Verhalten aus dem sogenannten „Interferenzwettbewerb“ entstanden ist. Dabei geht es nicht direkt um das Jagen von Beute, sondern um das Jagen und Töten von anderen im Revier vorhandenen Nahrungskonkurrenten. So machen Wölfe z.B. Jagd auf Kojoten oder andere Beutegreifer, die ihnen in kargen Zeiten ihre Nahrung streitig machen.
Dieser Teil der Jagdartikelreihe schließt mit einer Erkenntnis, die sich daraus ableiten lässt, wie das Selbstbelohnungssystem beim Jagen arbeitet – und zwar im Bezug auf sinnvolles „Antijagdtraining“.
Ein „Antijagdtraining“ sollte immer aus einem Maßnahmenpaket bestehen, das nicht nur am Symptom der Jagdhandlung selbst ansetzt, sondern umfassender greift.
Dazu gehört auch das Etablieren sogenannter Jagdersatzhandlungen. Jagdersatzhandlungen bieten dem Hund die Möglichkeit, sein Talent kontrolliert und idealerweise mit seinem Menschen zusammen auszuleben. Sie sind Alternativen zur „echten“ Jagd, und wirken sogar beziehungsfördernd, wenn sie als Teamwork im Mensch-Hund-Team aufgebaut werden.
Der Bezug zum Selbstbelohnungssystem des Jagens ist der, dass ein Jagdersatzverhalten für den Hund eine ähnliche Dopaminausschüttung hervorrufen muss, wie beim wirklichen Jagen, denn sonst wird man einen jagenden Hund kaum davon überzeugen können, es als gleichwertige Alternative anzunehmen.
Tatsächlich ist es möglich, z.B. Über Fährten-, Dummy- oder sonstige Nasenarbeit (Zielobjektsuche bietet sich auch an) eine hohe Ausschüttung von Glückshormonen zu erreichen. Sorgt man neben dem Aufbau eines solchen Teamworks dafür, dass wirkliches Jagen nicht mehr stattfindet, tritt das eigenständig im Wald gezeigte Beutefangverhalten immer weiter in den Hintergrund, und das Jagdersatzverhalten wird immer wichtiger.
Weitere Tipps zum Antijagdtraining gibt es in einem späteren Teil der Blogartikelreihe über das Jagen.
Im nächsten Teil unserer Blogartikelreihe über das hündische Jagdverhalten wird es darum gehen, wie wichtig die Lernkomponente beim Jagen ist, an welcher Stelle Lernen das Jagdverhalten beeinflusst (wie entsteht Jagdpassion), und natürlich wieder, wie dies beim Antijagdtraining genutzt werden kann.
(c) Lennart Peters, www.miteinanderlernen.de
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