Hilfe, der dominiert mich!

Heute stellte Cookie seine Vorderpfote auf mein Bein und mir war klar – Hilfe, mein Hund dominiert mich! Anlass genug, meinen nächsten Artikel über das Thema ‚Dominanz‘ zu schreiben.
Was aber ist ein dominanter Hund? Schaut man die allgemeine Bedeutung des Begriffs „Dominanz“ im Internet nach, finden sich Synonyme wie „Vorherrschaft“ oder „Überlegenheit“. Sammelt man Aussagen auf verschiedenen Webseiten, was ein dominanter Hund ist, findet sich dort:

Ein Hund der,
– seine Besitzer in Frage stellt, indem er nicht auf Kommandos hört
– Menschen auffordert, ihn zu streicheln
– entscheidet, wann Zeit zum Spielen ist
– Menschen nicht an sein Futter lässt
– sein Territorium verteidigt
– in Hundebegegnungen seine Überlegenheit präsentiert*

*Den Punkt möchte ich an dieser Stelle etwas vernachlässigen. Hunde, die wirklich überlegen sind und dieses ruhig und souverän zeigen, sind selten Problemhunde. Die, die sich vermeintlich „dominant“ verhalten, indem sie häufig Ärger anfangen, kläffend in der Leine hängen usw. sind alles andere als wirklich überlegen.

Betrachten wir die anderen Punkte hingegen genauer. Alle beinhalten neben dem Hund einen weiteren, entscheidenden Faktor, der nur nebenbei anklingt, nämlich die Rolle des Menschen!
Gibt es auf der einen Seite einen Hund, der seinen Mensch auffordert, ihn zu streicheln, so gibt es auf der anderen Seite den Menschen, der dem nachgibt. Folgt ein Hund einerseits seinem Menschen nicht, so setzt der Mensch sich andererseits nicht durch. Entscheidet der Hund immer über Zeitpunkt zum Spielen und Fressen, überlässt der Halter dem Hund diese Entscheidungen. Das alles findet sich nicht in dem Wort „Dominanz“ – weil es nur die eine Seite der Medaille, den herausfordernden, in Frage stellenden Hund, beschreibt.

Was gemeinhin als „Dominanz“ beschrieben wird, ist für mich etwas ganz anderes: Orientierungslosigkeit.
Der Hund ist nicht an seinem Menschen orientiert. Kann der Mensch dem Hund keine Sicherheit geben, indem er ihm klar zeigt, dass er sich um Haus und Hof kümmert, dass er Ressourcen verwaltet – wie soll sich sein Hund auch an ihm orientieren? Wie soll er seinem Menschen Respekt zollen, wenn dieser ihn nicht einfordert? Sich möglicherweise nicht das Recht gibt, dieses zu tun?
Natürlich gibt es Hunde, die sich mehr in den Vordergrund stellen als andere, die versuchen, ihre Menschen um den Finger zu wickeln und in Frage stellen. Aber das ist doch keine Dominanz! Wie sehr verändert sich die Sicht auf die Dinge, wenn wir diese Verhaltensweisen als ein Erbitten um klare Strukturen bezeichnen? Oder als eine Nachfrage nach Regeln?
Einem Jugendlichen kann man keinen Vorwurf machen, dass er zu spät nach Hause kommt, wenn ihm vorher nicht gesagt wurde, wann er zu Hause sein soll. Ein Kind weiß nur, dass es keinen Schokoladenriegel im Supermarkt klauen darf, wenn es um Gesetze weiß. Und wie oft begehen Kinder oder Jugendliche Fehltritte, weil sie es a) nicht besser wissen oder b) Grenzen antesten. Hier ist es Aufgabe von Eltern und Gesellschaft, Grenzen klar zu setzen und darauf zu bestehen. Sind sie nicht klar und konsequent, können sie nicht geachtet werden.

Ähnlich ist es in der Welt der Hunde. Hunde leben in Abhängigkeit des Menschen – einer einseitigen Abhängigkeit. Sie können zwar als Straßenhunde überleben – aber sobald sie in einem Haushalt leben, müssen sie sich ihrem Halter anpassen. Und darin sind sie wahre Meister! Dennoch: Um sich an etwas anzupassen, muss es einen Rahmen geben.
Es gibt Hunde, die glauben, sie seien dafür verantwortlich, das Haus zu bewachen – oder gar ihren Menschen. Aus diesem Glauben heraus entsteht Fehlverhalten bis hin zu Beißunfällen – aber vom emotionalen Empfinden macht es einen gewaltigen Unterschied, ob ich den Grund in einem Dominanzstreben sehe oder ob ich dem Hund zugestehe, dass er das Verhalten nur zeigt, weil er es nicht besser weiß.
Nehmen Sie mal kurz diese Sichtweise ein: Wie verzweifelt muss ein Hund sein, der glaubt, er müsse einen Menschen beißen?!
Kein Hund möchte seinen Menschen anführen. Einige Hunde glauben nur, dass sie es müssten, weil der Mensch seinen „Job“ nicht erledigt.

Schaut man sich diese „Problemhunde“, die „dominanten“ Hunde an: Finden Sie, dass sie entspannt aussehen? Ich habe Bilder von angespannten Hunden vor Augen, die nicht relaxen können, weil sie sich für alles verantwortlich fühlen. Es ist Aufgabe des Menschen – dieses zu ändern. Und bitte nicht durch so genannte „Unterordnungsübungen„. Smilie: ;)

Und was Cookie angeht: Er legt seinen Vorderpfote auf mein Bein oder sein Kopf auf mein Knie. Im Bett macht er sich so breit, dass ich manchmal mit Rückenschmerzen aufwache. Aber weil er und ich um die Regeln unseres Zusammenlebens wissen, nimmt er sich die Möglichkeit, sie mal kurz anzutesten – und ich nehme mir die Möglichkeit, dieses ganz flexibel mal zu dulden – und ihn mal als Reaktion sehr deutlich auf seinen Liegeplatz zu „verfrachten“.
Damit können wir beide sehr entspannt leben.

Kategorie(n): Führung

3 Antworten auf Hilfe, der dominiert mich!

  1. Wie nicht anders erwartet, mal wieder soooo gut! Da werde ich niemals gegen anschreiben können. Macht nichts , ich werde andere Sachen bloggen.
    Ich danke dir für die klare Beschreibung der Hundewelt aus Expertensicht und die auch für Laien verständlichen Erklärungen und hoffe, dass es ganz viele Menschen lesen werden. Und dass sich bei dem Einen oder Anderen ein kleines ‚Aha‘ breit macht. Weiter so, die Texte sind klasse!

  2. Hallo, Johanna;
    super Text! Klar, eindeutig und nicht zu lang.
    Liebe Grüße
    Michaela

Eine Reaktion in einen anderen Blog

  1. […] Dominanz genannt wird, ist zumeist ein Mangel an Struktur und Orientierung. Mehr dazu können Sie hier […]

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