Wie selbstverständlich benutzen Hundehalter den Begriff „Leinenaggression“. Gemeint ist: Trifft der Hund an der Leine auf Artgenossen, hängt er z.B. bellend vor seinem Menschen in der Leine oder schnappt, sichtlich angespannt, im Vorbeigehen nach anderen Hunden. Besonders betont wird das Wort Leine, da der Hund ohne Leine keine nennenswerten Probleme mit Artgenossen hat.
Warum spreche ich von einem Mythos? Weil das Problem nicht an der Leine als solcher liegt. Hunde mit der geschilderten Problematik haben an der Schleppleine zumeist keine Probleme mit Artgenossen. Voraussetzung ist, dass die Schleppleine richtig eingesetzt wird. Der große Unterschied zwischen normaler Führleine und Schleppleine besteht in der Länge.
Hund brauchen Raum, um artgerecht zu kommunizieren. Allein die Art und Weise, wie Raum durchschritten, bzw. eingeengt wird, sagt über einen Hund und seine Beziehungen zu Artgenossen, bzw. auch zu seinen Menschen, aus. Frontale Begegnungen an kurzer Leine sind entgegen der Natur des Hundes. Diese würden, könnten sie wählen (und tun es oft, wenn sie tatsächlich können) bei einer Begegnung einen Bogen laufen, Abstand halten und dann, bei Interesse, Kontakt aufnehmen. Diese Möglichkeit nimmt ihnen die Leine. Sie treffen aufeinander und haben keine Ausweichmöglichkeiten. Was passiert nun, wenn wenigstens einer der beiden Hunde kein Interesse an Kontakt hat? Richtig. Er äußert dieses unter Umständen sehr deutlich – und laut.
Hat der dazugehörige Mensch das Verhalten seines Hundes bereits mehrmals erlebt und sorgt sich vor genau diesem, reagiert er vielleicht so, dass er prophylaktisch die Leine kürzer nimmt, z.B. mit der Absicht, seinen Hund besser kontrollieren zu können. Was der Hund erlebt ist: Wahrnehmung des Artgenossen, Angespanntheit: „Was ist das wohl für einer?“ => Mensch greift in die Leine, Hund fühlt Einwirkung und denkt: „Wusste ich’s doch, mit dem da vorne stimmt was nicht.“ Und prompt folgen Bellen und dazugehörige Verhaltensweisen. Oder der Hund reagiert auf den Druck der Leine mit Gegendruck, hängt sich erst recht in der Leine, fühlt sich noch beengter und wird so immer heftiger in seinen Reaktionen.
Das Verhalten, jedoch nicht das Motiv, ist ähnlich, wenn ein Hund Kontakt aufnehmen möchte und durch die Leine darin behindert wird. In diesem Fall sind Lautäußerungen, in die Leine springen usw. jedoch als Übersprungshandlung zu bewerten.
Bei der nächsten Hundebegenung ist der Mensch sich sicher : „Es geht wieder schief.“ Und das wird es vermutlich auch, weil ein Kreislauf angefangen hat. Bald reicht die Anspannung des Menschen, vielleicht ein kaum merkliches Kürzernehmen der Leine, um das Verhaltensmuster beim Hund wieder hervorzurufen.
Nur der Mensch kann diesen Kreislauf durchbrechen. Aber wie?
Der Hund muss wieder Raum haben, um souverän, artgerecht kommunizieren zu können. Raum gibt es für den Hund nicht nur nach vorne (Interessant, dass unter „Freilauf“ für den Hund meistens Freilauf nach vorne verstanden wird, oder?) – sondern auch nach hinten. Um Raum zu geben, muss der Mensch Mut finden, seinem Hund zu vertrauen. Häufig besteht die Angst, dass der Hund Beschädigungsabsichten hat und es nicht nur beim Bellen oder Schnappen bleibt. Die Abläufe müssen im Training durch eine Ausgewogenheit von Einschränkung des Raumes mit Elementen der Führung einerseits, und andererseits Geben von Raum, Umlenkung der Aufmerksamkeit des Hundes auf Spiel (mit Leckerchen und Motivationsobjekten) mit seinem Menschen erarbeitet werden.
Dabei lernt der Hund: „Über den Raum bestimmt in erster Linie mein Mensch. Der kümmert sich um wichtige Angelegenheiten.“ Andererseits bekommt der Hund überhaupt wieder die Möglichkeit, sich auszudrücken. Und er kann über die genannten Motivationsbrücken in Kontakt zu seinem Menschen treten, bzw. bleiben und bei ihm Orientierung finden.
Der erste, elementarste Schritt in die Richtung ist und bleibt: Die Leine muss länger werden!
so wahr und wichtig, wenn Hunde lesen könnten……
…..sie würden „Gefällt mir“ anklicken!!!
Der Text könnte fast von mir stammen Sehr sehr schön Johanna.
Am besten gefällt mir die Anmerkung das Freilauf nicht immer „nach vorne weg laufen“ bedreuten muss! Leider sehen es noch viele Hundehalter als Strafe an wenn der Hund hinter Ihnen läuft. Dabei gibt es dem Hund nicht nur Führung sondern auch so viel Schutz!